März 2024

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Heinrich Heine den ersten lyrischen Loreley-Mythos, „Zu Bacharach am Rheine / wohnt eine Zauberin …“, von Clemens Brentano 1801 in Verse gebracht, gekannt hat. Und vermutlich hat es ihn durchaus gereizt, die bei Brentano noch Zauberin genannte ungewollte Verführerin in ein anderes, typisch heinesches lyrisches Gewand zu kleiden. Wie sehr ihm dies gelang, beweist seit 1824 der Siegeszug seiner „Loreley“ durch die in gewisser Weise sogar internationale Kulturgeschichte, wesentlich befördert von der sanften „gewaltigen Melodei“ des Komponisten Friedrich Silcher. Seit 2023 können Besucher aus aller Welt die von der Berliner Bildhauerin Valerie Otte geschaffene jüngste Inkarnation der Loreley auf ihrem Felsen 132 Meter über dem Rhein bei St. Goarshausen besuchen. Foto: ©Loreley Touristik_Sebastian Reifferscheid

Literaturlandschaften e.V.

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Mährchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar;
Ihr gold’nes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr gold’nes Haar.

Sie kämmt es mit gold’nem Kamme,
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh’.

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lore-Ley gethan.

Heinrich Heine (1797-1856), 1824